Die Eurogruppe: Machtzentrale in Europa ohne politische Legitimierung?

Benjamin Braun und Marina Hübner

17. Juni 2019

Standpunkt

„Die Währungsunion ist ein großer Irrtum. […] Das Projekt Währungsunion erzieht die Länder zu deutschem Verhalten, aber nicht alle Länder wollen sich so verhalten wie Deutschland.“ Ralf Dahrendorf, 1995.

Nicht Einigkeit und Verständigung, sondern Konflikt und Spaltung – kein geringerer als der renommierte Soziologe Ralf Dahrendorf prophezeite dem Euro schon vor dessen Einführung eine düstere Zukunft. Seine Warnung reihte sich ein in den Chor zahlreicher prominenter Kritiker der im Vertrag von Maastricht 1992 feierlich aus der Taufe gehobenen europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.

Anlass der Kritik waren vor allem die heterogenen Wirtschaftsstrukturen der beteiligten Währungsländer, die als großes Risiko für die langfristige Stabilität des Euro gesehen wurden. Die ursprünglich elf Gründungsmitglieder unterschieden sich im Hinblick auf ihr Produktivitätsniveau, die Struktur ihrer nationalen Tarifverhandlungssysteme, ihre Inflationstoleranz und damit letztlich in ihrer Stellung als Hartwährungs- oder Weichwährungsländer. Zugleich verzichteten die Maastrichter Euro-Architekten auf starke Institutionen, um nationale Wirtschafts- und Fiskalpolitiken im Sinne einer strukturellen Annäherung effektiver europäisch zu koordinieren.

Doch in den folgenden Jahren schienen positive Entwicklungen der Kritik am europäischen Währungsprojekt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die neue Währung punktete mit einem stabilen Preisniveau und soliden makroökonomischen Verhältnissen. Hohe Wachstumsraten in den schwächeren Euroländern nährten zudem die Hoffnung auf eine rasche Annäherung an die ökonomisch stärkeren nordeuropäischen Partner – und das weitgehend ohne Zwang.

Mit dem Startschuss zur Währungsunion trafen sich fortan die nationalen Finanzminister der Euroländer regelmäßig zu informellen Gesprächen in Brüssel. Die 1998 gegründete Eurogruppe diente ihnen als Gremium zur losen wirtschafts- und fiskalpolitischen Koordinierung ohne formale Entscheidungsbefugnisse. Wenngleich nur ein schwaches Abbild der von Frankreich geforderten „Wirtschaftsregierung“, so schien die Eurogruppe als Minimalkompromiss dennoch Stabilität und Wohlstand in der Eurozone zu fördern.

Die Eurokrise ab 2010 sollte allerdings den frühen Kritikern späte Genugtuung verschaffen. Rasch entwickelte sich die Eurogruppe zu einem neuen Machtzentrum, das wichtige Beschlüsse zur Reform der Währungsunion inhaltlich vorbereitete. Hinter verschlossenen Türen traf das Gremium Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen auf das Leben von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in Europa. 

»Die Krise gab den Blick auf die Machtstrukturen in der Eurogruppe frei.«

Die Krise gab den Blick auf die Machtstrukturen, die der Eurogruppe zugrunde liegen, frei, und auch auf die Unterschiede in den Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer, die in der Euphorie der frühen Eurojahre lediglich kaschiert worden waren. Diese hatten nicht nur zum Ausbruch der Eurokrise beigetragen, sie ließen nun auch keine für alle Mitgliedsstaaten akzeptable Lösung mehr zu. So dominierten Reformansätze, die zugunsten der „Gläubigerländer“ ausfielen und die Interessen der „Schuldnerländer“ fundamental verletzten. Deutschlands exportorientiertes Wirtschaftsmodell diente als Rollenmodell für das von der Eurogruppe entwickelte wirtschaftspolitische Reformprogramm.

Den „Schuldnerländern“ blieb nichts anderes übrig, als die von der Eurogruppe beschlossene Politik der fiskalischen Austerität und der inneren Abwertung als alternativlos anzunehmen. Die Entscheidungsfindungsprozesse in der Eurogruppe hebelten so ein wichtiges demokratisches Prinzip aus: die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Politikprogrammen wählen zu können.

Dahrendorfs Warnung erwies sich als weitsichtig. Die Währungsunion sollte die Angleichung zwischen den europäischen Ländern beschleunigen und ihren Zusammenhalt stärken, führte aber im Gegenteil zu wirtschaftlicher Divergenz und politischen Konflikten, die bis heute anhalten. Der wahrnehmbare Vertrauens- und Legitimitätsverlust der Währungsunion ist eine der gravierenden Folgen der Eurokrise, durch die insbesondere die politische Durchschlagskraft der Eurogruppe weiter angewachsen war. Legitimität jedoch ist die entscheidende Größe für den dauerhaften Bestand eines demokratisch vereinbarten Regelsystems. Nur so lässt sich sicherstellen, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die Institutionen, die das politische und wirtschaftliche Miteinander organisieren, als gerecht empfinden und durch regelkonformes Verhalten stützen. Die Eurogruppe steht nun vor der Aufgabe, ihre Funktion und Rolle grundlegend zu überprüfen.

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