Organisatorische Grenzen des Marktdesigns

Georg Rilinger

17. Mai 2022

Standpunkt

Wie entscheidet man, wer knappe Kitaplätze oder Krankenhausbetten bekommen soll? Früher wurden Wartelisten und andere bürokratische Verfahren eingesetzt. Marktdesignerinnen und Marktdesigner aus den Bereichen Ökonomie, Informatik und Ingenieurswesen bieten heutzutage neue, flexiblere Lösungen an, die die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigen. Sie konstruieren digitale Märkte, meistens Auktionen, in denen „Käufer“ und „Verkäufer“ nach Kriterien zusammengebracht werden, die die Gesamtverteilung optimieren. Zum Beispiel haben Marktdesign-Fachleute aus Münster, Oxford und Pforzheim kürzlich eine Plattform eingerichtet, die die Kitaplätze in Greven zuteilt. Ein Interface erfragt, wo die Eltern ihre Kinder gern unterbringen möchten, womit sie eine direkte Möglichkeit haben, die Verteilung zu beeinflussen. Die Regeln sind so gestaltet, dass es für die Eltern von Vorteil ist, ihre wahren Präferenzen anzugeben. Der Algorithmus, der die Gebote auswertet, errechnet die Verteilung von Kindern auf Kitas nach einer komplexen Optimierungsfunktion. Die Grevener Plattform sucht zum Beispiel eine Verteilung, die die meisten Eltern zufriedenstellt und gleichzeitig für sozial ausgewogene Kindergruppen sorgt.

In den letzten Jahren hat sich solches Marktdesign in den verschiedensten Kontexten bewährt: bei der Zuteilung von Organspenden, Schulplätzen, Liebespartnern, Mobilfunkfrequenzen und vielem mehr. Diese Erfolge veranlassen Politikerinnen und Politiker dazu, Marktdesign auch für wesentlich kompliziertere Probleme einzusetzen. So werden heutzutage Märkte für Emissionszertifikate, Regierungsanleihen, Versicherungen, Elektrizität und in manchen Ländern sogar Wasser konstruiert. Die Verteilung der Güter hängt hier von komplexen Infrastrukturen ab, die gepflegt und ausgebaut werden müssen. In solchen Märkten müssen Teilnehmende daher mehr tun, als nur ihre Präferenzen anzugeben. Entscheidungen über den Preis und die Konditionen, zu denen diese Güter verkauft werden können, hängen von komplexen Fragen über die laufenden Kosten dieser Infrastrukturen ab. Wenn die Designermärkte hier optimale Entscheidungen hervorbringen sollen, müssen Designer die Entscheidungsprozesse im Markt viel gründlicher steuern als bei einfachen Problemen. Denn wenn es ihnen nicht gelingt, Akteure zu modellkonformen Verhalten zu bewegen, wird das Koordinationsziel verfehlt.

»Designer versuchen die Handlungen von Akteuren zu koordinieren, die zunächst einmal keinen Grund haben, mit ihnen zu kooperieren.«

Wie Manipulationen, etwa in Australiens Wassermärkten, oder zuletzt die Stromausfälle in Texas und Kalifornien zeigen, scheint Marktdesign für solche komplexen Probleme nicht sehr gut zu funktionieren. Warum ist das so?

Ein grundsätzliches Problem ist, dass Designer versuchen die Handlungen von Akteuren zu koordinieren, die zunächst einmal keinen Grund haben, mit ihnen zu kooperieren. Sie streben vielmehr danach, ihre eigenen Profite zu maximieren. Wenn ein Spekulant mehr Geld damit verdienen kann, Trinkwasser wegzuschütten, als es in die Landwirtschaft zu verkaufen, hat er keinen Anreiz, dies nicht zu tun – egal, was besser für die Allgemeinheit wäre. Marktdesign-Fachleute haben daher nur zwei Wege, ihre Ziele zu erreichen: Sie müssen die Regeln und Prozeduren der Märkte entweder so anlegen, dass die Anreize mit den Systemzielen übereinstimmen. Es wäre dann für Marktakteure immer am profitabelsten, so zu handeln, wie es für alle am besten ist. Oder Designerinnen und Designer müssen den Markt engmaschig kontrollieren und ungewünschtes Verhalten unterbinden. Beide Ansätze kommen in komplexen Märkten schnell an ihre Grenzen.

Damit Marktakteure immer einen Anreiz haben, so zu handeln, wie es das Marktdesign vorsieht, müssen die Regeln und Prozeduren des Markts intern konsistent sein. Je komplexer das Verteilungsproblem, desto mehr unterschiedliche Märkte sind auch notwendig, um es zu lösen. Handelssysteme für Elektrizität bestehen zum Beispiel aus Dutzenden unterschiedlicher Märkte – angefangen mit Märkten für reine Energie, über Märkte für Kapazität, zu solchen für Reliabilitätsdiensten und Ressourcen wie Naturgas. Da die Märkte miteinander verwoben sind, müssen auch die Regeln global konsistent sein.

Bei schwierigen Verteilungsproblemen müssen Marktdesign-Fachleute oft arbeitsteilig vorgehen. Verschiedene Teams setzen und modifizieren Regeln für unterschiedliche Teile der Marktarchitektur. Manche Teams arbeiten an Software, andere an rechtlichen oder prozeduralen Vorgaben. Wie genau sich jede Regel und Prozedur, für die ein Team sich entscheidet, auf alle anderen Regeln im System auswirkt, kann dabei aber keine lokale Gruppe vollständig überblicken. Es entstehen daher schnell Inkonsistenzen, die die gewünschte Anreizstruktur unterlaufen. Engmaschige Kontrolle scheitert aus dem gleichen Grund. Sobald eine Regulationsbehörde arbeitsteilig vorgehen muss, können Marktakteure die entstehenden Wahrnehmungslücken ausnutzen, um von bestehenden Inkonsistenzen zu profitieren.

»Erfolgreiches Marktdesign stellt bei komplexen Verteilungsfragen extrem hohe Konsistenzanforderungen an die Marktregeln.«

Das Problem besteht also darin, dass erfolgreiches Marktdesign bei komplexen Verteilungsfragen extrem hohe Konsistenzanforderungen an die Marktregeln stellt. Wenn Marktdesign-Teams arbeitsteilig vorgehen müssen, lassen sich diese Anforderungen kaum erfüllen und es wird unmöglich, alle Konsequenzen der entstehenden Inkonsistenzen zu überblicken. Das erklärt, warum Elektrizitäts-, Emissions- und Wassermärkte auch nach zwanzig Jahren Entwicklung immer noch mit Manipulationen zu kämpfen haben. Auch wenn es für klar definierte und abgrenzbare Verteilungsprobleme also zweifellos gute Lösungen liefert, eignet sich Marktdesign aus diesem Grund weniger gut dafür, die Verteilung von Kollektivgütern zu organisieren, bei denen komplexe Infrastrukturen mit multiplen Märkten koordiniert werden müssen.

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