Die Gig Economy in Zeiten der Krise

Andrea M. Herrmann

15. September 2020

Standpunkt

Sie wurde aus der Krise geboren: die „Gig Economy“. Sie macht es Arbeitsuchenden und Auftraggebern möglich, sich auf Online-Plattformen zu finden, um darüber eine einmalige, zeitlich befristete Dienstleistung (einen „Gig“) abzuwickeln. Als die US-Amerikaner Travis Kalanick und Garrett Camp zu Beginn der Finanzkrise an einem kalten Winterabend im Dezember 2008 über Stunden kein Taxi in Paris bekommen konnten, entstand die Idee: eine Handy-App, über die Privatleute Chauffeurdienste im eigenen Auto anbieten können. Vier Monate später gründeten Kalanick und Camp UBER. In Zeiten der Rezession gab es viele Arbeitsuchende, die durch Fahrdienste ein Zubrot verdienen wollten – oder mussten. Die Gig Economy war geboren. Sie boomte auch in den Folgejahren, als sich Amerika von der Finanzkrise erholte, und begann ihren Siegeszug um den Globus. Heute gibt es Tausende von Plattformen, die in allen erdenklichen Branchen Dienstleistungen vermitteln.

Sie wurde aus der Krise geboren: die „Gig Economy“. Sie macht es Arbeitsuchenden und Auftraggebern möglich, sich auf Online-Plattformen zu finden, um darüber eine einmalige, zeitlich befristete Dienstleistung (einen „Gig“) abzuwickeln. Als die US-Amerikaner Travis Kalanick und Garrett Camp zu Beginn der Finanzkrise an einem kalten Winterabend im Dezember 2008 über Stunden kein Taxi in Paris bekommen konnten, entstand die Idee: eine Handy-App, über die Privatleute Chauffeurdienste im eigenen Auto anbieten können. Vier Monate später gründeten Kalanick und Camp UBER. In Zeiten der Rezession gab es viele Arbeitsuchende, die durch Fahrdienste ein Zubrot verdienen wollten – oder mussten. Die Gig Economy war geboren. Sie boomte auch in den Folgejahren, als sich Amerika von der Finanzkrise erholte, und begann ihren Siegeszug um den Globus. Heute gibt es Tausende von Plattformen, die in allen erdenklichen Branchen Dienstleistungen vermitteln.

Die Corona-Krise befeuerte das Wachstum der Gig Economy erneut. Während abhängig Beschäftigte auf der ganzen Welt in Kurzarbeit geschickt wurden oder ihre Anstellung verloren, stieg die Nachfrage nach Gig-Arbeit zwischen Januar und Mai 2020 um über 40 Prozent an. Dabei sind zwei Entwicklungen auffällig. Erstens war die Entwicklung der Nachfrage – je nach Infektionsrisiko der Dienstleistung und ihrer Kompatibilität mit dem Lockdown – stark branchenabhängig: Während häusliche Dienstleistungen und Chauffeurdienste zurückgingen, boomte die Nachfrage nach Lieferdiensten und IT-Beratung. Zweitens zeichneten sich zwei Wellen steigender Gig-Nachfrage ab. Sie deuten darauf hin, dass die gestiegene Nachfrage zwischen Januar und März 2020 zunächst durch Mehrarbeit der etablierten Gig-Arbeiter abgedeckt wurde. In einer zweiten Welle zwischen März und Mai 2020 scheint sich dieser Pool um neue Gig-Arbeiter erweitert zu haben, die auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten waren, nachdem sie ihre Anstellung auf dem traditionellen Arbeitsmarkt verloren hatten.

»Nun hat auch der konservativste CEO verstanden, wie Arbeit mit Hilfe von Plattformen funktioniert und welche Vorzüge sie bietet.«

Seit Mai ist die Nachfrage nach Gig-Arbeit wieder rückläufig. Dies mag zum einen darauf hindeuten, dass der akute Bedarf an bestimmten, insbesondere IT-Dienstleistungen, im Zuge der Lockerungen zurückgeht. Zum anderen kann es als ein Anzeichen von wirtschaftlicher Stabilisierung gedeutet werden, die es den Menschen erlaubt, in ihre ursprünglichen Beschäftigungsverhältnisse zurückzukehren. Trotz des aktuellen Nachfragerückgangs bei Gig-Arbeit hat die Corona-Krise die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich die Gig Economy zu einem wesentlichen Arbeitsmarkt der Zukunft entwickeln wird. Denn „nun hat auch der konservativste CEO verstanden, wie Arbeit mit Hilfe von Plattformen funktioniert und welche Vorzüge sie bietet“, argumentiert Alok Alström, CEO der Plattform AppJobs.

Was bedeutet diese rasche Zunahme an Gig-Arbeit für unsere Gesellschaft? Ist sie ein Segen für Unternehmen, Plattformen und Arbeitsuchende gleichermaßen oder bedeutet sie eine Bedrohung für traditionelle Arbeitsverhältnisse? In meinen Augen ist Letzteres der Fall, solange es nicht gelingt, eine soziale Absicherung für Gig-Arbeiter zu schaffen. Plattformen legen großen Wert darauf, als reine Technologieunternehmen verstanden zu werden, die Gig-Arbeiter und Auftraggeber lediglich zusammenführen. Als branchenspezifische Unternehmen (wie beispielsweise Taxiunternehmen, Hotelgewerbe, IT-Beratung oder Reinigungsfirmen), die als Arbeitgeber die Bedingungen der Gig-Arbeiter bestimmen, sehen sie sich nicht.

»Die Corona-Krise das Ausmaß und Potenzial von Gig-Arbeit deutlich gesteigert.«

Bedenkt man, wie sehr Plattformen über Anreizsysteme, Ausschluss vom Portal oder Preisgestaltung in die Arbeit ihrer Dienstleister eingreifen können, erscheint die Auffassung von Plattformen als reine Vermittler fraglich. Solange Plattformen rechtlich jedoch als Vermittler und nicht als Arbeitgeber gelten, werden Gig-Arbeiter als Selbstständige behandelt, die sich eigenständig sozialversichern müssen. Das aber tun nur die wenigsten. In gering qualifizierten Gig-Jobs reicht die Bezahlung dafür nicht aus. Aber auch hoch qualifizierte und gut bezahlte Gig-Arbeiter treffen kaum Vorsorge. Ein Großteil der Gig-Arbeiter ist jung (60 Prozent sind jünger als 30 Jahre) und der Gedanke an Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung liegt fern. In den meisten Fällen wird Gig-Arbeit zudem als Nebenverdienst ausgeübt, sodass Gig-Arbeiter über ihre Hauptbeschäftigung oder – in Ländern mit entsprechenden Sozialsystemen – über ihren Studenten- oder Arbeitslosenstatus versichert sind. In eben diesen Ländern führt eine Ausweitung der Gig Economy zur Untergrabung des Sozialsystems, da im Zweifelsfall der abhängig beschäftigte Steuerzahler dafür aufkommt, wenn Gig- Arbeiter arbeitsunfähig oder schlicht zu alt zum Arbeiten werden.

Obwohl diese Problematik nicht neu ist, hat die Corona-Krise das Ausmaß und Potenzial von Gig-Arbeit deutlich gesteigert. Die Ablösung traditioneller Arbeitsverhältnisse durch Gig-Arbeit und ihre dauerhafte Etablierung ist durch COVID-19 wahrscheinlicher geworden.

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