Zinserhöhung zur Inflationsbekämpfung: In der Eurozone fehl am Platz

Guadalupe Moreno

18. April 2023

Standpunkt

Nach langer Abwesenheit ist die Inflation zurückgekehrt: Infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine im Februar 2022 treiben steigende Kraft- und Rohstoffpreise die Inflation in der Europäischen Union in die Höhe. Bei einer Bewertung der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Inflationsbekämpfung müssen wir uns fragen, was wir eigentlich über die Ursachen von Inflation und die politischen Mittel zu ihrer Bekämpfung wissen.

Obgleich Inflation seit den 1920er-Jahren in der ökonomischen Fachwelt ein viel diskutiertes Thema ist, herrscht Uneinigkeit über ihre Auslöser. Im 20. Jahrhundert gab es drei weltweite Inflationen: zum Ende des Ersten und Zweiten Weltkriegs und während der Stagflation der 1970er-Jahre. Diese Phasen nahmen Ökonominnen und Ökonomen zum Anlass, die Haupttreiber und Reproduktionsmechanismen von Inflation zu erforschen, aber auch, nach geeigneten Instrumenten zu ihrer Bekämpfung zu suchen. Mit der Zeit pendelte sich die Debatte zwischen zwei gegensätzlichen Positionen ein, die unterschiedliche Ursachen, Dynamiken und Folgen von Inflation propagierten: Monetarismus und Heterodoxie.

Die monetaristische Position vertritt eine orthodoxe ökonomische Sichtweise, wonach jede Inflation durch eine Erhöhung der zirkulierenden Geldmenge ausgelöst wird. Ein Zitat des Ökonomen Milton Friedman aus dem Jahr 1974 bringt dies auf den Punkt: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen: Sie kann nur auftreten, wenn die Geldmenge schneller wächst als die Produktionsleistung.“ Ist die Ursache immer dieselbe, liegt die Lösung auf der Hand: die Verringerung der Geldmenge durch die Zentralbanken – auf direktem (Geldabschöpfung) oder indirektem (Zinserhöhung) Weg. Dieses theoretische Modell basiert auf der Annahme, dass es sich bei der Geldmenge um eine externe, also durch die Zentralbank gesteuerte Variable handelt.

Es gibt jedoch heute deutliche Hinweise darauf, dass sich die in einem Wirtschaftssystem umlaufende Geldmenge der unmittelbaren Kontrolle von Zentralbanken entzieht und eher durch die Kreditvergabe der Privatbanken bestimmt wird. Zwar wissen die Zentralbanken um ihre begrenzten Mittel bei der Inflationsbekämpfung, lassen die Bevölkerung aber im Irrglauben darüber, um nicht ihr Image als Herrscherinnen über die Geldwertstabilität zu verlieren.

»Monetarismus versus Heterodoxie: zwei Seiten der wissenschaftlichen Debatte. In der heutigen politischen Welt herrscht die monetaristische Position vor – wie wirkt sie sich auf die derzeitige Anti-Inflationspolitik aus?«

Auf der Gegenseite stehen heterodoxe Wirtschaftsgelehrte, die strukturelle Ursachen für die Entstehung von Inflation annehmen. Vertreter der französischen Regulationsschule etwa sehen Inflation als Folge des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit. Ihnen zufolge wird Inflation durch verschiedenartige Konflikte ausgelöst, vor allem durch Verteilungskonflikte: durch Forderungen nach Lohnerhöhungen oder wenn Unternehmen höhere Preise festsetzen. Das Kernargument der heterodoxen Sichtweise ist, dass Inflation multikausal sein kann und Lösungen auf die zentralen Auslöser zugeschnitten sein müssen.

Monetarismus versus Heterodoxie: zwei Seiten der wissenschaftlichen Debatte. In der heutigen politischen Welt herrscht die monetaristische Position vor – wie wirkt sie sich auf die derzeitige Anti-Inflationspolitik aus?

Leider führt sie dazu, dass die Inflation in der Eurozone nicht an der Wurzel gepackt wird. In der Eurozone folgen die Maßnahmen der EZB zur Inflationsbekämpfung, wie etwa die Zinserhöhungen und die Anpassung des mittelfristigen Inflationsziels, bislang akribisch dem monetaristischen Ansatz, lassen aber die aktuellen Ursachen, nämlich Preissteigerungen und Versorgungsengpässe, außer Acht. Zwar werden Initiativen zur Diversifizierung von Energiequellen ergriffen, doch die EZB könnte die Energiewende stärker vorantreiben, etwa durch weiterhin niedrige Refinanzierungskosten für „grüne Investitionen“, als bloß „zu prüfen, ob die grüne Wende die Preisstabilität gefährdet“ und die Finanzmärkte als „Korrektiv für Energiepreise“ dienen zu lassen, wie es Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums im Rahmen einer Podiumsdiskussion der American Finance Association im Januar 2022 formulierte. Außerdem stellt die steigende Inflation im Euroraum die Logik der aktuellen Geldpolitik an sich infrage. Es gibt genügend Belege dafür, dass Inflationszielregelungen eine bereits niedrige Inflation eindämmen können, für eine Senkung der Inflation jedoch untauglich sind.

Schlimmer noch: Einige Regierungen haben zur Eindämmung der Inflationsdynamik eine Deckelung der Lohnsetzung im Euroraum angekündigt. Doch Maßnahmen wie Gehaltsanpassungen unter der Teuerungsrate halten nicht den Inflationsanstieg auf, im Gegenteil: Sie haben sogar Umverteilungseffekte, welche die Verteilungseffekte der Inflation selbst verstärken, wodurch die wirtschaftlich Schwächsten doppelt getroffen werden.

Anti-Inflationspolitik hat ihren Preis – und der erhöht sich, je weniger sie die Inflationstreiber berücksichtigt. Ich habe aufgezeigt, dass die orthodoxen Instrumente zur Inflationsbekämpfung im Euroraum heute wirkungslos sind. Der Hauptgrund hierfür ist, dass die Inflation in der EU überwiegend auf die steigenden Kraftstoffpreise und Lieferengpässe zurückzuführen ist. Der monetaristische Ansatz würde keines dieser Probleme lösen – er könnte sie sogar noch verschlimmern. Vor diesem Hintergrund erscheint ein neuerlicher öffentlicher Diskurs um die Auslöser der Inflation dringlicher denn je.

Dieser Text entstand im Herbst 2022.

Zur Redakteursansicht