Lucio Baccaro ist neuer Direktor am MPIfG

28. September 2017

Im September 2017 nahm Lucio Baccaro seine Arbeit als Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung auf. Baccaro gehört zu den renommiertesten Repräsentanten der soziologisch und politikwissenschaftlich ausgerichteten, international vergleichenden Politischen Ökonomie. Er tritt die Nachfolge von Wolfgang Streeck an, der im Herbst 2014 emeritiert wurde.

Derzeit erforscht Lucio Baccaro die verschiedenen in der Europäischen Union vertretenen Wachstumsmodelle. Er unterscheidet binnenorientierte und exportorientierte Volkswirtschaften. Das Wachstum ersterer hängt von der Binnennachfrage und hier insbesondere vom Privatkonsum ab, während letztere auf die Auslandsnachfrage angewiesen sind. Exportorientierte Wachstumsmodelle wiederum, so seine These, unterscheiden sich darin, wie kosten- und preissensibel die Exportgüter sind. Hiervon hängt ab, ob ein Zielkonflikt zwischen dem exportgetriebenen Wachstum und dem Binnenwachstum besteht. Die Hintergründe für diese Unterschiede sieht Baccaro in politisch-institutionellen Gegebenheiten der Länder und in den Kräfteverhältnissen zwischen deren Binnen- und Exportsektoren. Sein besonderes Interesse gilt den Wirtschaftssystemen Deutschlands, Großbritanniens, Schwedens und Italiens.
 
Baccaros Arbeiten zu den politischen und institutionellen Grundlagen der Erzeugung gesamtwirtschaftlicher Nachfrage haben die jüngeren Fachdebatten nachhaltig geprägt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden in der Vergleichenden Politischen Ökonomie vor allem die angebotsseitigen Unterschiede zwischen den sogenannten Spielarten des Kapitalismus erforscht, beispielsweise im Hinblick auf das Angebot beruflicher Bildung. Die neuen Theorien über die institutionellen Grundlagen von Wachstumsmodellen sind etwa für die Frage relevant, wie realistisch die Aussichten auf eine wirtschaftliche Angleichung der europäischen Länder sind.
 
Wirtschaft, Gesellschaft, Politik – diesen drei Themenfeldern widmen sich die wissenschaftlichen Arbeiten des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, an dem vor allem Soziologen und Politikwissenschaftler, aber auch Historiker und Ökonomen gemeinsam interdisziplinär arbeiten. Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen ökonomischem, sozialem und politischem Handeln. Mit einem vornehmlich institutionellen Ansatz wird erforscht, wie Märkte und Wirtschaftsorganisationen in historische, politische und kulturelle Zusammenhänge eingebettet sind, wie sie entstehen und wie sich ihre gesellschaftlichen Kontexte verändern. Lucio Baccaros vergleichende Arbeiten fügen sich in dieses Forschungsprogramm ein und werden es bereichern.
 
In Italien geboren und aufgewachsen, besitzt Lucio Baccaro heute einen italienischen und einen schweizerischen Pass. Seine akademische Laufbahn startete mit einem Studium der Philosophie an der Universität Rom. Nach dessen Abschluss entschied er sich für ein Studium der Betriebswirtschaft und Politikwissenschaften mit exzellenten internationalen Stationen. Er promovierte 1997 an der Universität Pavia in Italien und 1999 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den Fachgebieten Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen sowie Politische Ökonomie und Soziologische Theorie. Nach weiteren Forschungsjahren am MIT und an der International Labour Organization (ILO) wurde er 2009 als Professor für Soziologie an die Universität Genf in der Schweiz berufen. 2017 berief ihn die Max-Planck-Gesellschaft zum Wissenschaftlichen Mitglied und Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Am 16. November 2017 wird er in seinem Eröffnungsvortrag zum diesjährigen Institutstag des MPIfG seine Forschungsperspektiven vorstellen. 

Aktuelle Veröffentlichungen

Baccaro, Lucio, and Chris Howell. 2017. Trajectories of Neoliberal Transformation: European Industrial Relations since the 1970s. Cambridge: Cambridge University Press. 320 pages.
 
Baccaro, Lucio, and Konstantinos Papadakis. 2008. The Promise and Perils of Participatory Policy-Making. IILS Research Series 117. Geneva: International Labour Organization, International Institute for Labour Studies. 69 pages.
 
Baccaro, Lucio, and Chiara Benassi. 2017. Throwing out the Ballast: Growth Models and the Liberalization of German Industrial Relations. Socio-Economic Review 15 (1): 85–115.
 
Baccaro, Lucio, Rüya Gökhan Koçer, Jorge Galindo and Valeria Pulignano. 2016. Determinants of Indefinite Contracts in Europe: The Role of Unemployment. Comparative Sociology 15 (6): 794–838.
 
Baccaro, Lucio, and Jonas Pontusson. 2016. Rethinking Comparative Political Economy: The Growth Model Perspective. Politics and Society 44 (2): 175–207 (with responses by David Hope and David Soskice, Cathie Jo Martin, Michael J. Piore and Wolfgang Streeck).
 
Baccaro, Lucio, and Chiara Benassi. 2014. Softening Industrial Relations Institutions, Hardening Growth Model: The Transformation of the German Political Economy. Stato e Mercato 3 (1): 369–96.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht