Zukunftsszenarien für die Arktis: Klimawandel und wirtschaftliche Erwartungen

Zukunftsszenarien für die Arktis: Klimawandel und wirtschaftliche Erwartungen

Jenny Andersson

9. Juli 2018

Lange Zeit wurde die Arktis als eine abgelegene Erdregion am nördlichen Polarkreis betrachtet, die nur von wenigen indigenen Völkern und amerikanischen, europäischen und asiatischen Einwanderern besiedelt ist. Erst Maßnahmen zur Erkundung nutzbarer Bodenschätze lenkten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit jüngst auf die Arktis als Lagerstätte etwa eines Drittels der weltweit ungenutzten Gas- und Ölvorkommen. Die geologische Studie, die diese Ergebnisse im Jahr 2008 präsentierte, war nur eine von vielen Aktivitäten, die neue Zukunftserwartungen für diese fast vergessene Region hervorriefen. Die Arktis lässt sich somit auch als geopolitischer Raum beschreiben, der aus speziellen Erwartungen heraus entstanden ist. Diese reichen von Szenarien globaler Erwärmung über geopolitische Konflikte zwischen den Anrainerstaaten bis hin zu Prognosen über Schadstoff- und Abfallbelastungen. Sie alle prägen die Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung der Arktis und deuten das  Gebiet als einen potenziellen Dreh- und Angelpunkt der Weltwirtschaft. Dabei spielt die dauerhafte Befahrbarkeit der Nordost- und Nordwestpassagen durch den Rückgang des Meereises eine entscheidende Rolle, da dieses Szenario eine neue Handelsroute nach China ermöglichen und zu einer Neuorientierung der Weltschifffahrt führen würde.
 
Der arktische Raum ist demnach vor allem als symbolisches Territorium zu betrachten, in dem die geopolitischen Interessen und Gebietsansprüche von Spekulationen über den künftigen ökonomischen Wert der Region abhängen. Die Geschichte ist hierbei ein zentrales Mittel für jene Nationalstaaten und Organisationen (von Russland und Norwegen über die Europäische Union bis China), die alle in unterschiedlicher Form Anteil am Erbe der Arktis beanspruchen und diese so zum Teil ihrer nationalen Identitäten machen. Der aus der Geschichte abgeleitete und legitimierte Anspruch, auch an der Zukunft der Arktis und ihrem Wert teilzuhaben, ist dabei entscheidend. Arktisch zu sein hängt somit in hohem Maße von der Fähigkeit der jeweiligen Akteure ab, die eigene historische und zukünftige Präsenz in dem Gebiet überzeugend darzustellen.
 
Weil die Option, einen künftigen Anspruch geltend zu machen, ganz unmittelbar geopolitisch bedeutsam ist, haben alle Akteure seit dem Jahr 2008 Strategien erarbeitet, die ihre künftige Präsenz im arktischen Raum beschreiben. Diese Strategieplanungen sollen vor allem anderen Akteuren zukünftige Ansprüche deutlich machen. Sie befördern aber auch einen Wettlauf, der stark an das historische Gerangel um Kolonialgebiete und Ressourcen erinnert. Im Unterschied dazu findet das jetzige Rennen um die Arktis mittels Formen transnationaler Zusammenarbeit und grenzüberschreitenden Regierens sowie durch Datenerfassung und Prognosen statt. Dennoch handelt es sich hierbei um einen Prozess, bei dem Interessen allmählich durch das Festlegen zukünftiger Ansprüche geformt werden. Statt bloß als Geschichten oder Wunschvorstellungen sollten Erwartungen daher vielmehr als Ausdruck und Reflexion von Interessen erkannt werden.
 
Grundlegendes Szenario für die Zukunft der Arktis ist das Abschmelzen der polaren Eiskappe – ein apokalyptischer Zukunftsentwurf, der vom Weltklimarat als Auslöser von unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Weltmeere und das Klima eingeschätzt wird. Paradoxerweise führt dieses Szenario aber auch dazu, dass die Zukunft der Arktis nun zur Projektionsfläche für wirtschaftliche Erwartungen wird. Die Neudefinition des Klimawandels als Herausforderung und gleichzeitig Chancenbringer für die Region macht die Arktis zu einer hypermodernen Arena für Anpassungsstrategien und Umweltschutz, gepaart mit dem Bedarf nach technologischen Investitionen, neuen Finanzierungsinstrumenten und neuen Märkten.
 
Am Beispiel Schweden zeigt sich, dass die nordischen Länder in der Arktis eine höchst widersprüchliche Position einnehmen, weil sie einerseits ehrgeizige Nachhaltigkeitsagenden verfolgen und eine friedliche Entwicklung in der Region anstreben, andererseits aber auch Exporteure von Schlüsseltechnologien für Anpassungsstrategien an den Klimawandel sind. Insbesondere die Umweltforschung dient als eine diplomatische Ressource, die es Schweden ermöglicht, Präsenz in der Arktis zu zeigen und zukünftig Ansprüche geltend zu machen.

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