Partnergruppe des MPIfG: Ein neues Zentrum der Wirtschaftssoziologie in Polen

Interview mit Marcin Serafin

Max-Planck-Institute forschen weltweit vernetzt auf der Basis internationaler Kooperationen und Projekte. Ein Instrument, um die gemeinsame Forschung mit ausländischen Partnern noch fester an deren Standorten zu verankern, sind die Max-Planck-Partnergruppen. Das Prinzip: Exzellente Nachwuchswissenschaftler wie Marcin Serafin, ehemals Postdoc am MPIfG, kehren zurück in ihr Herkunftsland und arbeiten in einem dafür neu gegründeten Zentrum an Themen, die ihre Forschung mit der des kooperierenden Max-Planck-Instituts verbinden.

Die Fragen stellten Susanne Berger und Marlene Erll.

Susanne Berger und Marlene Erll: Herr Serafin, Ihre Max Planck Partner Group for the Sociology of Economic Life befasst sich mit der sozialen und institutionellen Einbettung wirtschaftlichen Handelns. Warum haben Sie diesen Schwerpunkt gewählt?

Marcin Serafin: Mein Ziel war es, ein Zentrum zu gründen, das zur Weiterentwicklung der Wirtschaftssoziologie in Polen beiträgt. Denn während die Wirtschaftssoziologie in vielen Ländern zu den am schnellsten wachsenden Subdisziplinen der Soziologie gehört, hat die überwiegende Mehrheit der polnischen Soziologen Themen wie Märkte und Geld bisher den Ökonomen überlassen.

Dass ich mich für die kulturellen, sozialen und politischen Dimensionen gegenwärtiger Ökonomien interessiere, geht auf meine Doktorarbeit zurück. Hier habe ich mich mit der Debatte zwischen neoklassischen Wirtschaftswissenschaftlern und Verhaltensökonomen über die Arbeitszeiten von Taxifahrern befasst. Eine Diskussion, die entscheidend zum Aufschwung der Verhaltensökonomie beigetragen hat.

Was war Ihnen beim Aufbau der Partnergruppe besonders wichtig?

Die Gruppe sollte Wirtschaftssoziologen zusammenbringen, die bereits am Institute of Sociology and Philosophy at the Polish Academy of Sciences (IFiS PAN) in Warschau forschen. Dafür wollte ich die institutionelle und finanzielle Unterstützung bereitstellen. Bevor ich ans IFiS PAN kam, haben dort zwei Forscher, Mateusz Halawa und Marta Olcoń-Kubicka, faszinierende Forschungsprojekte zu Geld, Krediten und Privathaushalten durchgeführt. Weil dies sehr gut zum Fokus der Partnergruppe passt, habe ich beide Wissenschaftler in die Gruppe eingeladen.

Die Partnergruppe befindet sich mittlerweile im zweiten Jahr ihres Bestehens. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisher Erreichten?

Am zufriedensten bin ich damit, dass wir in dieser relativ kurzen Zeit so enge Verbindungen zwischen dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) und dem IFiS PAN schaffen konnten. Ein wichtiger Bestandteil dieser Kooperation sind Gastaufenthalte der Mitglieder der Gruppe in Köln und Besuche der Kölner Forschenden in Warschau.

Besonders erfreut bin ich auch über den positiven Verlauf des zweitägigen Kickoff-Workshops, mit dem wir im Februar 2018 die Partnergruppe offiziell gestartet haben. Der Workshop brachte Soziologen und Anthropologen aus Polen, Deutschland und anderen Teilen der Welt zusammen. Das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, Polen auf der Landkarte der Wirtschaftssoziologie zu verankern.

Das Doktorandenseminar zur Rolle der Zukunft in der Wirtschaftssoziologie und der Politischen Soziologie, das wir gemeinsam mit dem MPIfG und dem Pariser Max Planck Sciences Po Center on Coping with Instability in Market Societies (MaxPo) im September 2018 in Köln ausgerichtet haben, war ein voller Erfolg. Darüber hinaus haben wir in Warschau eine öffentliche Vorlesungsreihe organisiert, in deren Rahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt ihre Arbeiten zu Finanzmarktkapitalismus, Ungleichheit, Geld und Wertschöpfung vorgestellt haben. So hat beispielsweise Aldo Madariaga, Assistant Professor am Centro de Investigación y Docencia Económica (CIDE) in Mexiko-Stadt und ebenfalls MPIfG-Alumnus, sein neues Buch zur Resilienz des Neoliberalismus in Lateinamerika und Osteuropa präsentiert.

»Ein wichtiger Bestandteil der Kooperation sind Gastaufenthalte der Mitglieder der Gruppe in Köln und Besuche der Kölner Forschenden in Warschau.«

Außerdem gibt es bereits erste Veröffentlichungen aus der Partnergruppe: Ich schreibe zurzeit an einem Artikel, der meine Forschungsschwerpunkte der nächsten Jahre beschreibt. Mateusz Halawa und Marta Olcoń-Kubicka haben kürzlich einen Artikel zur Rolle digitaler Technologien bei der Finanzplanung von privaten Haushalten veröffentlicht. Die beiden haben den Artikel während eines zweimonatigen Aufenthalts am MPIfG in 2017 geschrieben, was zeigt, wie ertragreich solche Austausche sein können!

Natürlich gab es auch einige Herausforderungen: Da unsere Gruppe in Warschau die erste Partnergruppe des MPIfG und eine von nur sehr wenigen Partnergruppen in der Sektion der Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist, gab es vor allem im ersten Jahr diverse administrative Hürden zu nehmen. Dabei habe ich zum Glück nicht nur von den Institutsleitungen des MPIfG und des IFiS PAN, sondern auch von den Verwaltungen beider Institute umfangreiche Unterstützung erhalten.

Die Position als Partnergruppenleiter ist Ihre erste nach der Promotion. Inwiefern konnten Sie an diesem Punkt Ihrer Laufbahn von der Kooperation der beiden Wissenschaftsorganisationen profitieren? Was würden Sie anderen Nachwuchswissenschaftlern raten, die ein solches Vorhaben umsetzen wollen?

Die Gründung der Partnergruppe war äußerst wertvoll für meine Karriere. Sie hat meine Position am IFiS PAN gestärkt und mir gleichzeitig ermöglicht, weiterhin eine enge Bindung zum MPIfG zu haben. Die Partnergruppe ist ein äußerst flexibles Unterstützungsprogramm. Die MPG gewährt uns große Freiheiten bei der Entwicklung unserer Forschungsinteressen und dem Aufbau der Gruppe. Es gibt nicht viele Programme, die Forschenden derart viel Freiraum lassen, daher kann ich es definitiv weiterempfehlen. Außerdem würde ich anderen Nachwuchswissenschaftlern raten, die Partnergruppe nicht nur als Mittel zur Entwicklung eines Forschungsschwerpunktes zu nutzen, sondern auch, um ein internationales Forschungsnetzwerk dazu aufzubauen. 

Ihre beiden großen Forschungsthemen, die Beeinflussung gegenwärtigen ökonomischen Verhaltens durch Zukunftserwartungen sowie der Einfluss digitaler Plattformen auf den heutigen Kapitalismus, klingen zunächst recht unterschiedlich. Welche Synergien gibt es hier?

Tatsächlich hängen beide Themen eng zusammen. Digitale Plattformen wie Airbnb und Uber sind in vielerlei Hinsicht rätselhaft: Sie haben wenige Angestellte und produzieren nichts, ihr Wert wird aber auf Milliarden von Dollar geschätzt. Sie machen Verluste, sind aber trotzdem in der Lage, mehrere Milliarden an Risikokapital an Land zu ziehen. Wenn wir versuchen wollen, dieses Rätsel zu lösen, müssen wir uns mit Erwartungen beschäftigen. Der Wert von Firmen wie Airbnb oder Uber und ihre Fähigkeit, Kapital für weitere Investitionen zu akquirieren, basiert nicht auf ihrer aktuellen finanziellen Lage. Es ist vielmehr die Aussicht darauf, eine weltweite Monopolstellung zu erreichen und damit in Zukunft Profite zu erzielen. Auf gewisse Weise ähneln diese Unternehmen Religionen, indem sie Investoren kurzfristig zwar Entsagung und Schwierigkeiten in Aussicht stellen, ihnen jedoch langfristig Erlösung versprechen. Ihre Macht und ihr Wert basiert auf diesem Glauben.

Welche Zukunftsperspektive sehen Sie in Ihrem Forschungsgebiet?

Was meine persönlichen Forschungsschwerpunkte angeht, möchte ich einerseits die während der Promotion durchgeführte Forschung zum Taximarkt in Warschau und andererseits meine Arbeiten zur dortigen digitalen Ökonomie mit einer klassischen Frage der Soziologie verbinden: der Frage danach, was eine Gesellschaft zusammenhält. Auch wenn es bereits eine Vielzahl von Antworten auf diese große Frage gibt, möchte ich zeigen, dass eine Gesellschaft nicht nur von Ideologie, Werten oder Symbolkraft, sondern zusätzlich noch von einer bestimmten Art sozialer Struktur zusammengehalten wird. 

»Ich möchte zeigen, dass eine Gesellschaft nicht nur von Ideologie, Werten oder Symbolkraft, sondern zusätzlich noch von einer bestimmten Art sozialer Struktur zusammengehalten wird.«

Ich nenne diese Struktur linking ecology. Es gibt viele Beispiele hierfür, von verschiedenen Zweigen der Transportindustrie bis hin zu Medien und der Finanzwelt. Ich hoffe, zeigen zu können, dass diese Strukturen gemeinsame Merkmale aufweisen und dass Transformationsprozesse großen Maßstabs, wie Globalisierung, Mediatisierung, Finanzialisierung und Digitalisierung, mit den Veränderungen in diesen Strukturen in Wechselwirkung stehen und dann in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens nachklingen. So wurde beispielsweise die Globalisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblich durch Veränderungen in der maritimen Industrie vorangetrieben.

Welchen Beitrag wollen Sie mit Ihrer Partnergruppe in den nächsten Jahren leisten?

In den kommenden Jahren möchte ich die Partnergruppe zu einem führenden Zentrum für Wirtschaftssoziologie in Polen weiterentwickeln, das auch über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen wird. Im Sommer dieses Jahres organisieren wir gemeinsam mit Mateusz Halawa von der Partnergruppe und Lisa Suckert vom MPIfG eine SASE-Mini-Konferenz zur Zeitlichkeit des Kapitalismus und dem Problem der Synchronisation. Zudem habe ich erst begonnen, die Idee der linking ecology zu entwickeln. Die theoretische Ausarbeitung und die Darstellung ihrer Implikationen für empirische Studien werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

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