„Das Wünschbare und das Machbare sind nicht identisch“

Martin Höpner über das Forschen in Zeiten der Krise

Wissenschaftliches Arbeiten im Homeoffice? Für Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler doch kein Problem, könnte man meinen. Warum das Virus auch ein Forschungsinstitut wie das MPIfG vor ungeahnte Herausforderungen stellt, erklärt MPIfG-Forschungsgruppenleiter Martin Höpner.

Lesen und recherchieren, nachdenken, schreiben, redigieren, kurz: Was Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler so machen, das geht auch allein und in der Regel auch daheim. Für die Forschungsarbeit eines Instituts wie des MPIfG dürfte die Pandemie auch in ihrer Hochphase ein eher kleines Problem gewesen sein, mag man also denken.

Der Wegfall vieler Monate ist ein ernstes Problem 

Im Hinblick auf Schul- und Kitaschließungen oder etwa Erkrankungen und Quarantänemaßnahmen im familiären Umfeld stellte Corona Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch vor dieselben Probleme wie den Rest der Bevölkerung. Hinzu kamen forschungspraktische Schwierigkeiten, die man mit fehlendem Arbeitsmaterial im verarbeitenden Gewerbe vergleichen kann: die Bereitschaft der Menschen, Interviews für qualitative Studien zu geben, ging zurück, Archive und Bibliotheken schlossen zeitweise, Forschungsaufenthalte mussten abgebrochen werden oder wurden unfreiwillig verlängert, weil Rückflüge nicht möglich und Grenzen geschlossen waren. Auch schwanden die Möglichkeiten des direkten Austauschs in Forschungsgruppen und Qualifizierungsmaßnahmen wie etwa Statistikkurse wurden abgesagt – Letzteres oft eine Voraussetzung dafür, die Auswertung vorher zusammengestellter Datensätze angehen zu können.

Dann müssen die betroffenen Forschungen eben später geschehen, mag man jetzt denken. Das ist bedauerlich, aber nicht wirklich bedrohlich. Dennoch ist gerade das ein schwerwiegendes Hindernis für eine wissenschaftliche Laufbahn. Forscherinnen und Forschern steht typischerweise auf befristeten Verträgen ein vorab definierter Zeitraum zur Verfügung, um eine Doktorarbeit oder Habilitation fertigzustellen. Nur wenn das gelingt, geht es weiter auf dem vorgezeichneten Weg: Doktoren werden zu Habilitanden oder schlagen andere Karrierewege ein, Habilitierte können sich auf Professuren bewerben. Der Wegfall vieler Monate ist für die Betroffenen in dieser Lage ein ernstes Problem.

Optimal wäre eine Doppelstrategie aus Vertragsverlängerungen und Neueinstellungen

Hier können nur Verlängerungen der Verträge helfen. Die Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute wie auch die Universitäten tun, was sie können. Bei Licht besehen wird das Problem hierdurch aber lediglich verlagert. Greifen nämlich alle zum Mittel der Verlängerung und schieben Neueinstellungen im Gegenzug in die Zukunft, dann trocknet für die, die ihre Qualifizierungsarbeiten schon abgeschlossen haben, der Arbeitsmarkt aus. Auch die Qualifiziertesten finden dann trotzdem keine Anschlussstellen.

Optimal wäre daher eine Doppelstrategie aus Vertragsverlängerungen und parallelen Neueinstellungen in vollem Umfang: Schutz, ohne dass der Arbeitsmarkt austrocknet. Aber das ist kostspielig und setzt Budgeterhöhungen voraus. Wiederum kann man sagen: Die Forschungseinrichtungen tun, was sie können. Aber es sollte nicht verwundern, dass das Wünschbare und das Machbare nicht identisch sind. Auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler also, als Doktoranden und Habilitanden oft genau im Alter der Familiengründung, war und bleibt Corona ein großer Stresstest und eine Quelle von noch mehr Unsicherheit über den zukünftigen Werdegang.

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