Simone Leiber
Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpolitik an der Universität Duisburg-Essen | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPIfG von 2000 bis 2004
Rund zwanzig Jahre ist es her, dass ich mit einem VW-Sprinter, in den damals noch problemlos meine gesamte Existenz passte, von meinem Studienort Heidelberg nach Köln umgezogen bin, um ein Promotionsstipendium am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zu beginnen. Ermuntert zu einer Bewerbung hatte mich Martin Höpner, ein ehemaliger Kommilitone aus Heidelberger Studienzeiten, der selbst ein Jahr zuvor eine Stelle am MPIfG angetreten hatte. Schon während des Politikstudiums hatten wir uns intensiv mit den Arbeiten von Fritz Scharpf, Renate Mayntz und Wolfgang Streeck befasst und Fritz Scharpf sogar bei einer von uns Studierenden organisierten Tagung am Institut für Politikwissenschaft in Heidelberg persönlich kennenlernen dürfen. Ohne Martins Zuspruch hätte ich mich jedoch nie getraut, mich an einem derart renommierten Institut zu bewerben – eine schöne Gelegenheit an dieser Stelle nochmals Danke dafür zu sagen!
Meine Zeit am MPIfG hat sowohl meinen beruflichen als auch meinen privaten Lebensweg stark geprägt. Am Institut habe ich gelernt, was Wissenschaft bedeutet, und die Promotion war natürlich ein wichtiger Türöffner für meine weitere wissenschaftliche Karriere. Zudem bin ich hier meinem Lebensgefährten Armin Schäfer begegnet, mit dem ich später eine Familie gegründet habe. Damals sind wichtige, bis heute andauernde Freundschaften und Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen entstanden. Gerade diese Mischung aus intellektueller Herausforderung und besonderen persönlichen Begegnungen lässt mich sehr gern an die Zeit zurückdenken. Sinnbildlich dafür steht die legendäre Espresso-Runde, bei der es täglich um die Mittagszeit eine Gelegenheit gab, sich auszutauschen. Hier bildeten sich Lesekreise und Freundschaften, hier gab es wichtige Fachhinweise, Ermutigung und bisweilen auch Trost. Eine besondere Atmosphäre ging auch von den Menschen aus, die das Herz des Instituts bildeten: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung, der Bibliothek, in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und in der EDV, die gemeinsam die Rahmenbedingungen für einen reibungslosen Wissenschaftsalltag schufen. Diese einzigartige Kultur der Unterstützung wird mir stets in Erinnerung bleiben. Auch an lebenspraktischen Erfahrungen mangelte es in dieser Zeit nicht. Unvergessen ist etwa die intensive Ausbildung im Brandschutz (Insider-Stichwort: „fire is dark“), die viele von uns durchlaufen durften, weil sie dem langjährigen Koordinator für Haustechnik und Arbeitssicherheit Ernst Braun als ehemaligem Feuerwehrmann am Herzen lag.
Nach meinem erfolgreichen Vorstellungsgespräch wurde ich in die von Gerda Falkner geleitete Arbeitsgruppe „Neues Regieren und Soziales Europa? Zu Theorie und Praxis von Mindestharmonisierung und Soft Law im europäischen Mehrebenensystem“ aufgenommen. In einem Projektverbund gemeinsam mit Miriam Hartlapp und Oliver Treib untersuchten wir Wechselwirkungen von europäischer Integration und wohlfahrtsstaatlicher Politik in fünfzehn EU-Mitgliedsstaaten. Es war eine sehr gute und enge Zusammenarbeit, in der ich viel für meine spätere Forschungsarbeit lernen konnte. Gleichwohl sah ich mich nach dem Abschluss meiner Promotion zunächst nicht auf einem universitären Karriereweg, sondern suchte eine Tätigkeit an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. Die EU-Osterweiterung stand bevor, und ich bekam im Rahmen des „Brückenprogramms zwischen Wissenschaft und Praxis“ der VolkswagenStiftung die Möglichkeit, für einige Monate in Warschau in einer Unterabteilung des polnischen Außenministeriums die Vorbereitung der Aufnahme Polens in die Europäische Union zu begleiten. Dabei setzte ich meine Forschungen zur Implementation von EU-Sozialpolitik – nun in einem mittel- und osteuropäischen Mitgliedsland – fort. Bei diesem Auslandsaufenthalt knüpfte ich wertvolle Kontakte, etwa zum späteren Prorektor für Forschung der Universität Warschau, Maciej Duszczyk, aus denen einige Jahre danach gemeinsame deutsch-polnische Forschungsaktivitäten im Themenfeld Pflegemigration hervorgingen.
»Gerade diese Mischung aus intellektueller Herausforderung und besonderen persönlichen Begegnungen lässt mich sehr gern an die Zeit am MPIfG zurückdenken.«
Nach meiner Rückkehr bewarb ich mich am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf und bekam eine Stelle als Leiterin des Referats für Sozialpolitik. Diese Tätigkeit, bei der Politikberatung sowie die Zusammenarbeit mit politischen Akteurinnen und Akteuren aus den Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielten, war sehr spannend, wenngleich nicht immer familienfreundlich gestaltbar. Mir wurde dort bewusst, welches Privileg es ist, sich über einen längeren Zeitraum und nicht rein tagespolitisch getrieben mit grundlegenden gesellschaftspolitischen Fragen befassen zu dürfen. Über eine Professur für Sozialpolitik an der Hochschule Düsseldorf (HSD) und dort geleistete (Drittmittel-)Forschung – unter anderem als Ko-Sprecherin des landesgeförderten kooperativen Promotionskollegs „Leben im transformierten Sozialstaat“ (TransSoz) – kam ich schließlich als Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpolitik an die Universität Duisburg-Essen (UDE).
Auf diesen unterschiedlichen Stationen habe ich mich mit vielfältigen Bereichen der Wohlfahrtsstaatsforschung befasst – von der EU-Sozialpolitik, mit der ich am MPIfG startete, über ländervergleichende Forschung in verschiedenen sozialpolitischen Subfeldern am WSI, hin zur Schnittstelle von Sozialer Arbeit, Sozialen Diensten und Sozialpolitik an der HSD und UDE. Verbindendes Leitthema war dabei die Analyse wohlfahrtsstaatlicher Transformation, insbesondere unter Bedingungen von Europäisierung und Vermarktlichung sozialer Sicherung. Bis heute entstehen in meiner Forschungsarbeit immer wieder Anknüpfungspunkte zu meiner Zeit am MPIfG – aktuell zu den ehemaligen Kollegen Werner Eichhorst (über das Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung, geleitet von der Universität Bremen und der Universität Duisburg-Essen) sowie zu Heinz Rothgang und Susanne Schmidt (unter anderem im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik“). Ich freue mich darauf, diese und weitere Kontakte im Rahmen meiner Arbeit im Vorstand des Vereins der Freunde und Ehemaligen des MPIfG künftig zu vertiefen.