Helen Callaghan

20. Dezember 2023

Professorin für Politische Ökonomie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Postdoktorandin am MPIfG 2008–2017

Wolfgang Streeck bin ich erstmals knapp ein Jahr nach dem Abitur begegnet, im Garten des Trinity College Oxford. Er spazierte dort in Begleitung von Colin Crouch und meinem Tutor Roberto Franzosi. Letzterer stellte mich spöttisch-stichelnd kurz vor: „This is Helen. She is German. She is a hard worker.“ Begleitend gestikulierte er mit der geballten Faust. Wolfgang Streeck wies ihn zurecht. „Work is good, isn’t it? Ohne Fleiß kein Preis.“

Zwei Jahre später kreuzten sich unsere Wege erneut, während meiner Zeit als Hilfskraft bei David Soskice am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Mit meinem Bachelor-Abschluss in PPE (Philosophy, Politics and Economics) war in Deutschland vor den Bolognareformen kein Blumentopf zu gewinnen. Hauptziel meines Brückenjahres in Berlin war daher die Einwerbung eines Promotionsstipendiums an Hochschulen in den USA. Zu den wenigen Veranstaltungen, die ich an der Humboldt-Universität besuchte, gehörte ein Seminar bei Claus Offe. Der hatte Wolfgang Streeck zu Gast und lud nach dessen Vortrag (über Gewerkschaften in der EU) zur Fortsetzung der Diskussion noch in ein Lokal.

Es folgte eine weitere flüchtige Begegnung während einer Summer School an der Université Libre de Bruxelles. Als Texte von Streeck dann im PhD-Programm an der Northwestern University gleich in drei Seminaren (bei Michael Wallerstein, Peter Svensson und Kathleen Thelen) auf dem Syllabus standen, dachte ich mir: „Ach, den kenne ich doch.“

Näher kennenlernen durfte ich das MPIfG und seine Direktoren ab 2003, dank eines Stipendiums, das über das Council for European Studies ausgeschrieben war. Zeitgleich hatte sich mir die Alternative geboten, über ein Chateaubriand Fellowship nach Frankreich zu gehen. Für Kathleen Thelen, bei der ich Rat suchte, war das Dilemma ein No-Brainer: „Why would you want to spend time in Paris when you can be in Cologne?“ Das leuchtete ein. So kam ich nach Köln.

»Why would you want to spend time in Paris when you can be in Cologne?«

Im ersten Stock des MPIfG entstanden große Teile meiner Doktorarbeit über deutsche, britische und französische Regierungsund Arbeitgeberpositionen bezüglich gesellschaftsrechtlicher EU-Richtlinien, unter anderem zur betrieblichen Mitbestimmung. Thematisch war ich damit am richtigen Ort und auch sonst konnte ich viel mitnehmen. Im Büro nebenan lebte mir Cornelia Woll effizientes Arbeiten vor. Eine Tür weiter promovierte Armin Schäfer, der auch jetzt in Mainz wieder mein Kollege ist. Direkt gegenüber stand mein späterer Ko-Autor Martin Höpner für anregende Gespräche bereit. Beim täglichen Mittagessen, bei den zahlreichen institutsinternen Vorträgen, Workshops, Festen sowie auf mehreren Konferenzreisen (APSA, SASE, CES) konnte ich mit diesen und vielen weiteren MPIfGlern Freundschaften knüpfen, die bis heute fortbestehen.

»Eines meiner Ziele für die Lehre: große Vorlesungen durch aktivierende, digitale Elemente lebendiger machen.«

Einen Tag nach der Disputation machte ich mich auf den Weg nach Florenz, um am Europäischen Hochschulinstitut in der allerersten Kohorte des Max-Weber-Programms ein zweijähriges Post-Doc-Fellowship anzutreten. Einige Implikationen für den europäischen Integrationsprozess, die sich aus meiner Doktorarbeit ergaben, konnte ich in Florenz zu Papier bringen, bevor Wolfgang Streeck mir noch vor Ablauf des Fellowship eine Stelle am MPIfG anbot. Es folgten neun produktive Jahre in Köln. Während bei meiner Dissertation noch der statische Vergleich diverser Corporate-Governance-Systeme im Fokus gestanden hatte, konnte ich mich in der Habilitationsschrift den historischen Wandlungsprozessen widmen, aus denen diese Systeme im Laufe eines Jahrhunderts hervorgegangen waren. Das Buch über Vermarktlichungsprozesse am Beispiel politischer Auseinandersetzungen um Aktionärsrechte, das neben mehreren Aufsätzen in dieser zweiten MPIfG-Phase entstand, ziert brav mein Regal. Quirliger sind meine Söhne Enda, Oisín und Yuri. Alle drei kamen im Krankenhaus an der Severinstraße nahe dem MPIfG zur Welt.

Nach Einreichung der Habilitationsschrift ging es dann 2017 mit Kind undKegel zurück nach Florenz. Dort konnte ich im Anschluss an ein Jean Monnet Fellowship wertvolle Lehrerfahrung sammeln, zunächst im Masterprogramm der James Madison University Florenz und dann an der neu gegründeten School of Transnational Governance. 2021 schließlich erhielt ich einen Ruf nach Mainz. Am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) leite ich seit dem Wintersemester 2021 die Abteilung Politische Ökonomie. Durch die Größe der Universität bieten sich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Für meine Forschungskooperation mit der polnischen Juristin Anne-Marie Weber zum Thema Sustainable Corporate Governance konnten wir eine Gastprofessur für sie einwerben. Mein Bestreben, große Vorlesungen durch aktivierende Elemente lebendiger zu machen, wird von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre im Rahmen der „Mainzer Modelle für digital erweitertes Lehren und Lernen“ großzügig unterstützt. Das Arbeitsklima am Institut ist hervorragend und der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen wie auch den Studierenden inspiriert. Erfreulicherweise ist auch der Weg nach Köln nicht weit. In der vorlesungsfreien Zeit schaue ich oft und gern in der Paulstraße vorbei.

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