Brooke Harrington

15. März 2020

Professorin für Soziologie am Dartmouth College, USA | Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPIfG von 2006 bis 2010

Es ist neun ereignisreiche Jahre her, seit ich das MPIfG und mein kleines keilförmiges Büro im dritten Stock verlassen habe! Als ich vier Jahre zuvor, am 6. September 2006, durch die Tür trat, war es nur in der Absicht, hier die neun Monate meines Fellowships zu verbringen, die Überarbeitung meines ersten Buchmanuskripts abzuschließen und dann in meine Heimat USA zurückzukehren. Wie sich herausstellen sollte, war dies der Anfang einer zwölfjährigen Tätigkeit in Europa, die zur Produktion dreier Bücher und der Geburt eines Babys führte. Rückblickend betrachtet erwies sich meine Reise nach Köln als einer der größten Glücksfälle in meiner Laufbahn.

Für mich war das Institut nicht nur ein großartiger Ort, um mein Buch abzu­schließen, sondern auch der Ausgangspunkt für ein ambitioniertes Forschungsvorhaben, über das ich schon seit Jahren nachgedacht hatte. Die Förderung derartiger Forschung gehört zu den Dingen, die das MPIfG einzigartig gut macht. Es gibt nur sehr wenige Institutionen auf der Welt, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern tatsächlich die Freiheit geben, neuartige Ideen zu verfolgen – vor allem, weil die meisten echten Innovationen das Überschreiten institutionalisierter Grenzen erfordern. Praktisch alle akademischen Institutionen und Förderorganisationen sagen zwar, dass sie wissenschaftliche Durchbrüche fördern wollen, lösen dieses Versprechen aber oft nicht ein. Ich war inzwischen an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt tätig und musste erkennen, dass diese Einrichtungen meist einfach zu unflexibel sind, um echte Durchbrüche zu ermöglichen. Es ist schwer vorstellbar, wo ein moderner Max Weber – dessen Expertise das umfasst hat, was wir derzeit als die getrennten Disziplinen des Rechts, der Politikwissenschaft, der Religionswissenschaften und der Volkswirtschaft betrachten – heute eine andere intellektuelle Heimat finden könnte als an einem Ort wie dem MPIfG.

»Meine Reise nach Köln war einer der größten Glücksfälle meiner Laufbahn.«

In meinem Fall war die Untersuchung, die ich über die Profession der Vermögensverwalter und Offshore-Finanzplätze durchführen wollte, so riskant und ambitioniert, dass klar war, dass die Förderstellen in den USA sie nicht finanzieren würden; sie verfügen über weitaus weniger Ressourcen als ihre Pendants in Deutschland und sind weitaus konservativer. Bis heute ist es praktisch unmöglich, in den USA Forschungsmittel für sozialwissenschaftliche Projekte zu erhalten, die eine internationale Daten­erhebung oder die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen an außerame­rikanischen Institutionen erfordern. So war es eine sehr angenehme Überraschung, dass das MPIfG in seinem so­zialwissenschaftlichen Ansatz wesentlich aufgeschlossener war. Die Finanzierung einer länder- und disziplinenübergreifenden Forschung wurde dort viel bereitwilliger gewährt, und – was am wichtigsten war – es bestand bereits Interesse an meinem Thema. Im Jahr meiner Ankunft war Jens Beckert, einer der Direktoren des Instituts, gerade dabei, ein eigenes Buch über Vermögensvererbung zu veröffentlichen: die englische Übersetzung von Unverdientes Vermögen

Es war Jens Beckerts Engagement, das es mir ermöglichte, meine Ideen in die Tat umzusetzen. Dies führte zu einer ­Reihe von Stipendien und Publikationen, die mit der Veröffentlichung von Capital without Borders: Wealth Managers and the One Percent (Harvard University Press, 2016) ihren Höhepunkt erreichte. Die Finanzierung durch das MPIfG versetzte mich in die Lage, in die verschwiegene Welt der Vermögensverwalter einzutreten. Indem ich mich in ihr Ausbildungsprogramm einschrieb, kam ich in persönlichen Kontakt mit Fachleuten, die normalerweise nicht auf meine Interviewanfragen reagiert hätten. Durch die Ausbildung zur Vermögensverwalterin konnte ich in diese Welt eintauchen und die ersten Schritte zur Erhebung von Daten unternehmen, die anderenfalls fast unmöglich zu erheben gewesen wären. Und die wiederum Türen zu einer Welt aufstießen, die bis zu diesem Zeitpunkt für Wissenschaftlerinnen und Entscheidungsträger gleichermaßen undurchsichtig war.

Und als dann ein globales Großereignis eintrat – die Affäre um die Panama Papers –, stand meine Forschungsarbeit bereit, um mitzuerklären, was dieses komplexe Datenleck bedeutete und was in Reaktion getan werden konnte. Nach wie vor bin ich in diesem Forschungsfeld tätig, denn es gibt immer noch so vieles an der Offshore-Welt, das kaum verstanden wird. Heute arbeite ich mit Volkswirtschaftlern und Netzwerkanalysten zusammen, um die Geografie der Offshore-Vermögensströme nachzuvollziehen, ganz ähnlich den Methoden, die Forscherinnen und Forscher am MPIfG genutzt haben, um die Wege des illegalen Handels mit Drogen, Waffen und Kunstgegenständen nachzuzeichnen.

»Durch die vom MPIfG geförderte Ausbildung konnte ich in die verschwiegene Welt der Vermögensverwalter eintreten.«

Capital without Borders hat seit Erscheinen mehrere Auszeichnungen erhalten, wurde in vier Sprachen übersetzt (leider noch nicht ins Deutsche!) und hat mir eine regelrechte Nebenbeschäftigung als Beraterin nationaler Regierungen und internationaler Einrichtungen in Fragen der Steuerpolitik verschafft. Die ­Reise, die in der Paulstraße 3 begann, führte zu einer wunderbar erlebnisreichen Karriere, mit Aufenthalten zum Zweck der Datensammlung und mit Einladungen zu Vorträgen in zwei Dutzend Ländern, von Russland und Israel bis hin zu winzigen Inseln mitten im Südpazifik und im Indischen Ozean. Erst im vergangenen Sommer habe ich sechs Wochen in Neuseeland verbracht, um den Steuerbehörden des Landes mein Wissen über Offshore zu vermitteln und parallel an der University of Canterbury Seminare zur politi­schen Ökonomie der Besteue­rung zu geben. Und – ganz unverhofft – hat eine Filmproduktionsfirma gerade einen Vertrag unterzeichnet, um mein Buch in eine fiktionale Fernsehserie umzusetzen!

Als wir uns zuletzt am MPIfG sahen, hielt ich ein fünf Monate altes Baby auf dem Arm und war dabei, in ein Auto zu steigen, das mich nach Kopenhagen bringen sollte. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal die Bedeutung des deutschen Wortes „Abschiedsschmerz“ gespürt habe! Meine Zeit als Professorin an der Copenhagen Business School dauerte acht Jahre, und vor Kurzem – im Januar 2019 – bin ich in die USA zurückgekehrt, um am Department für Soziologie am Dartmouth College zu forschen und zu lehren. Das Baby ist mittlerweile ein großer Junge, der Klavier spielt und „Spider Man“ liebt, und ich bin heute eine ordentliche Professorin, aber ich vermisse das akademische Umfeld des MPIfG immer noch. Sollte ich selbst jemals die Leiterin eines Forschungsinstituts werden, dann werde ich es nach dem Vorbild meiner vier Kölner Jahre aufbauen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht