Klimawandel und Demokratie: Ökonomische, soziale und politische Herausforderungen


Klimawandel und Demokratie: Ökonomische, soziale und politische Herausforderungen

Arthur Benz

1. April 2023

15. Institutstag des MPIfG Köln am 3. und 4. November 2022

Obgleich es Wissenschaft und Politik seit Langem beschäftigt, war das Thema des 15. Institutstags des MPIfG hochaktuell. Vor etwa fünfzig Jahren machten Wissenschaftler auf die globale Erwärmung aufmerksam, die maßgeblich durch Menschen verursacht wird. Seit Jahrzehnten steht die Begrenzung der klimaschädlichen Emissionen auf der Agenda der internationalen, nationalen, regionalen und lokalen Politik und längst geht es dabei auch um die Anpassung an die Folgen des schleichenden Klimawandels. Der Krieg in der Ukraine veränderte jedoch die Rahmenbedingungen der Klimapolitik in Deutschland und Europa.

Durch die Energiekrise, die der Krieg auslöste, ist es noch unwahrscheinlicher geworden, dass die Erderwärmung, wie von den Regierungen auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 vereinbart, auf 1,5 bis 2 Grad Celsius begrenzt werden kann. Die Klimaforschung sieht inzwischen Anzeichen für selbstverstärkende Dynamiken des Klimawandels.

Angesichts der komplexen, in Klimamodellen nicht vollständig erfassten Kausalzusammenhänge sind diese Dynamiken allerdings schwer zu prognostizieren. Reiner Grundmann (University of Nottingham) hinterfragte daher die Perspektive der „Klimawissenschaft“ und ihren Einfluss auf die Politik. Der Institutstag erweiterte diese Perspektive mit einem Programm, das die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen auf dem Weg zu einer absoluten Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Emissionen (Lucio Baccaro) thematisierte.

Mit jeweils unterschiedlicher Fokussierung leiteten Michèle Knodt und Roland Czada die Diskussion über politische Herausforderungen ein. Michèle Knodt (TU Darmstadt) betonte den Querschnitts- und Mehrebenencharakter der Energie- und Klimapolitik. Sie kritisierte die dominierende „negative Koordination“ zwischen Ministerien, die Defizite der Bund-Länder-Koordination und die Schwächen einer „weichen“ Steuerung der nationalen Energiepolitik durch die Europäische Union. Roland Czada (Universität Osnabrück) verwies auf die Verteilungskonflikte, die eine transformative Politik erschwerten. Angesichts des Problemdrucks, der Auflösung korporatistischer Strukturen und der aktuellen Energieknappheit sei eine „verhandelte Strukturanpassung“ nicht realisierbar. Während Knodt mehr „positive Koordination“, eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern und erweiterte Kompetenzen der EU empfahl, plädierte Czada für ein Regieren durch demokratische Mehrheitsherrschaft. Sie könne auf der Basis eines bestehenden Richtungskonsenses die erforderlichen Maßnahmen herbeiführen und legitimieren.

Verteilungskonflikte, die sowohl durch die Folgen des Klimawandels als auch durch Maßnahmen der Klimapolitik entstehen, wurden auch in anderen Beiträgen angesprochen. In der Klimapolitik geht es daher auch um soziale Gerechtigkeit. Zwei Vorträge machten dabei auf wenig bekannte Aspekte aufmerksam. Andrés López Rivera (Universität Hamburg) berichtete, wie indigene Völker in Amazonien ihr „traditionelles Wissen“ in die internationale Klimapolitik einbringen. Sie setzten der monetären Bewertung von Wäldern nach der CO2-Menge, die diese der Umwelt entziehen, ihre Deutung des Waldes als Lebens- und Kulturraum entgegen. Damit stellten sie etwa den verbreiteten Handel mit Emissionszertifikaten infrage. Rebecca Elliott (London School of Economics and Political Science) sprach über Verluste und Schäden. Sie erörterte nicht den Konflikt zwischen Staaten, sondern lenkte den Blick auf lokale und individuelle Verluste. Diese veranschaulichte sie am Schicksal von Hauseigentümern in New York, die nach einer Flut nicht nur die Renovierung ihrer Häuser, sondern auch drastisch gestiegene Beiträge zur Pflichtversicherung finanzieren mussten. Solche Verluste, so Elliott, werden in einer auf Katastrophen und Resilienz fokussierten Diskussion übersehen. Sie treffen Menschen mit einem geringen Einkommen und Vermögen härter als die Reichen.

Ökonomische Herausforderungen standen in dem „Kamingespräch“ im Vordergrund, in dem Philippa Sigl­-Glöckner (Dezernat Zukunft) Thesen zur Finanzpolitik im Klimawandel vorstellte. Sie kritisierte die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und Regeln der Staatsverschuldung, die den Spielraum für erforderliche öffentliche Investitionen reduzierten. Nicht weniger anregend war das Podiumsgespräch am Ende des zweiten Halbtags. Unter Verweis auf technologische Entwicklungen begründete Simon Müller (Agora Energiewende), warum die Energietransformation gelingen könnte. Martin Drews (Wirtschaftsverband der rhein-hessischen papiererzeugenden Industrie) betonte neben den aktuellen Schwierigkeiten energieintensiver Industrien die Anstrengungen von Unternehmen, Energie zu sparen. Reinhard Loske (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) wies auf den erforderlichen Strukturwandel des Arbeitsmarkts hin, der Chancen biete, aber auch soziale Verwerfungen verursachen könne. Silke Krebs (Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in NRW) sprach unter anderem Vollzugsprobleme der Klimapolitik an, die durch lange Verwaltungs- und Gerichtsverfahren entstünden. Die Gespräche und Diskussionsrunden vermittelten eine realistische Einschätzung: Die Transformation der fossilen in eine postfossile Wirtschaft kann mittels technischer Innovationen gelingen, Wirtschaft und Politik müssen aber auch mit der Knappheit an Kapital, Arbeitskräften, Verwaltungspersonal und öffentlichen Finanzen fertigwerden.

Die Vorträge, Gesprächsrunden und engagierten Diskussionsbeiträge machten die Herausforderungen der Klimapolitik deutlich. Neben der Komplexität der Aufgabe muss Klimapolitik multiple Verteilungskonflikte bewältigen. Damit geht es nicht nur um technischen Fortschritt, sondern auch um soziale Gerechtigkeit. Die Gesellschaftsforschung kann zu diesen Themen wichtige Beiträge leisten. Aktuelle Arbeiten des MPIfG liefern dazu ebenso Grundlagen wie frühere Studien zu Governance oder zum Wandel von Technik und Gesellschaft. Die Frage, wie Strukturen und Verfahren des demokratischen Regierens, der Mehrebenenkoordination oder der Verwaltung ausgestaltet werden sollten, um die Wirtschaft auf ein klimaneutrales Wachstum hinzulenken, wird die Sozialwissenschaft noch lange beschäftigen, zumal sich Aufgaben der Klimapolitik verändern und Verteilungskonflikte zunehmen werden. In diesem Zusammenhang wäre auch zu untersuchen, was eine Anpassung an den Klimawandel für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bedeutet, falls bisherige Maßnahmen und technische Innovationen nicht ausreichen, um die angestrebten klimapolitischen Ziele zu erreichen.


Gerhard Lehmbruch (1928–2022)

Gerhard Lehmbruch (1928–2022)

Ein Nachruf von Fritz W. Scharpf

Viele von uns haben viel von ihm gelernt. Seine „Einführung in die Politikwissenschaft“ von 1967, verfasst in seiner Assistentenzeit in Tübingen, hatte über mehrfache Auflagen prägenden Einfluss auf die Orientierung studentischer Generationen am internationalen Stand der Fragestellungen, Methoden und Befunde des damals in Deutschland noch kaum wieder etablierten Fachs. Und im selben Jahr schon erweiterte er die konventionellen Grenzen der vergleichenden Politikforschung und der demokratietheoretischen Diskussion mit seiner bahnbrechenden Studie über die schweizerische und österreichische „Proporzdemokratie“. Im Verbund mit Philippe Schmitters wenig späterer Wiederentdeckung „korporatistischer“ Abweichungen vom Modell der pluralistischen Demokratie wurde Lehmbruch so zum Urheber, Betreiber und theoretischen Mentor der sich rasch ausweitenden vergleichenden Forschung zu den Voraussetzungen, Funktionsbedingungen, Leistungen und Grenzen „neo-korporatistischer“ Verhandlungssysteme zwischen Staat und Verbänden – deren immer weitere Verästelungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene er 1995 als Gast am MPIfG kenntnisreich und verständnisvoll, aber auch ein wenig verwundert systematisierte. Ebenso originell und einflussreich war 1978 der erste Zugriff auf sein anderes Lebensthema: Mit der Untersuchung zum „Parteienwettbewerb im Bundesstaat“ hat er, in Reaktion auf die Konflikte nach dem Regierungswechsel von 1969, das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen parlamentarischer Konkurrenz-Demokratie und den Besonderheiten des deutschen Exekutiv-Föderalismus identifiziert und seine problematischen Folgen für die Effektivität und Legitimität des Regierens in Deutschland analysiert.

Auf beiden Feldern ergaben sich vielfältige und langjährige Parallelen und Überschneidungen zwischen Lehmbruchs Arbeiten und Forschungsinteressen und denen des MPIfG, die sich in den Kölner Forscherkarrieren seiner Konstanzer Schüler noch vertieften. Er selbst hat als Mitglied unseres Fachbeirats zwischen 1992 und 2001 die Arbeit unseres Instituts beraten und gefördert. Vor allem aber hat er als Gast und Diskussionspartner den Erkenntnisgewinn einer historischen Perspektive auf unsere Forschungsgebiete nicht nur angemahnt, sondern in seinen späten Arbeiten zur pfadabhängigen Herkunft des deutschen Föderalismus aus Regeln zur Befriedung der Konfessionskriege eindrucksvoll realisiert.

Er war ein großer Gelehrter, Mentor und Freund unseres Instituts.

Fritz W. Scharpf

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