Unverdientes Vermögen: Soziologie des Erbrechts
Jens Beckert
MPIfG Buch
Zusammenfassung
Die Aufbaugeneration der Bundesrepublik vererbt gegenwärtig ihren Vermögensbesitz. Zum ersten Mal im 20. Jahrhundert kann eine Generation unter Bedingungen dauerhafter wirtschaftlicher Prosperität Vermögen bilden und dieses an die nächste Generation übertragen. Ein Prozess, der von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung ist, wie die aktuellen Debatten zeigen. So sagte der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas im August 2004 in einem Interview mit der Netzeitung zum Thema Erbschaftssteuer, "dass diejenigen, die über ein hohes Vermögen verfügen, auch einen Beitrag leisten sollen, damit wichtige öffentliche Aufgaben in Deutschland finanzierbar bleiben".
Über die Frage, wie sich die private Vermögensvererbung mit dem Selbstverständnis der Leistungsgesellschaft und dem Prinzip der sozialen Solidarität vereinbaren lässt, diskutieren Politiker, Philosophen, Juristen, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen seit über 200 Jahren. Die Vermögensvererbung ist dabei nicht nur unter normativen Gesichtspunkten umstritten. Die Folgen des "unverdienten Vermögens" für die Familie, für die Wirtschaft und für die Demokratie wurden ebenso kontrovers debattiert. Jens Beckert zeichnet die Auseinandersetzungen um das Erbrecht in Deutschland, Frankreich und den Vereinigten Staaten nach und zeigt, dass in jedem der drei Länder andere Aspekte im Vordergrund stehen. In den USA sind es die Chancengleichheit und die Gefahr der Vermögenskonzentration für die Demokratie, in Deutschland der Zusammenhalt der Familie und soziale Gerechtigkeit, in Frankreich das Prinzip der Gleichheit und die Struktur von Familienbeziehungen. Beckert nutzt die Perspektive des Erbrechts, um die Evolution normativer Strukturen moderner Gesellschaften und das Verhältnis von Individuum, Familie und Gesellschaft zu erhellen und ebnet damit einer Soziologie der Erbschaft in Deutschland den Weg.
Inhalt
1 1.1 1.2
2 2.1 2.2 2.3 2.4
3 3.1 3.2 3.3 3.4
4 4.1 4.2 4.3 4.4
5 5.1 5.2 5.3 5.4 6 |
Einleitung Erbrecht und der Wandel sozialer Solidarität Gesellschaftliche Dimensionen des Erbrechts
Das Recht zu vererben. Testierfreiheit und die Individualität des Eigentums Frankreich: Gleichheit versus Freiheit der privaten Eigentumsverfügung Deutschland: Testierfreiheit versus Familie und soziale Gerechtigkeit Vereinigte Staaten: Chancengleichheit versus individuelle Verfügungsfreiheit Schluss
Gleichheit und Inklusion: Die Erbrechte in der Familie Das Gleichheitsprinzip im gesetzlichen Erbrecht Die Ehepartner im Intestaterbrecht Die erbrechtliche Integration nichtehelicher Kinder Schluss
Politische Struktur und Erbrecht: Die Auflösung der Fideikommisse Die zweifache Abschaffung der Substitutionen in Frankreich Die verschleppte Aufhebung der Eigentumsbindung in Deutschland Die Abschaffung der Entails in der amerikanischen Revolution Schluss
Soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung? Die Besteuerung von Erbschaften Chancengleichheit versus Privateigentum: Die Nachlassbesteuerung in den USA Familiensinn versus soziale Gerechtigkeit: Die Erbschaftssteuer in Deutschland Zerstörung des Volksvermögens? Die progressive Erbschaftssteuer in Frankreich Schluss Konklusion: Diskurse und Institutionen |
Autor
Jens Beckert
Pressestimmen
"This is an impressive study that deserves many readers not only in economic sociology but also in other social sciences. It is impressive in the following ways: (1) by virtue of being the first major comparative study of inheritance in the social sciences that I know of; (2) by virtue of the author's attempt to infuse his analysis with an interesting theoretical perspective, centered around a sociological version of discourse analysis; and (3) by virtue of the author's erudition when it comes to inheritance law."
Richard Swedberg in: Economic Sociology, European Electronic Newsletter 6[2], 2005
"Beckerts Habilitationsschrift unternimmt es, die Kontroversen über dieses Thema auf eine historisch-soziologische Grundlage zu stellen, indem er die gesellschaftswissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen um das Erbrecht in Deutschland, Frankreich und den USA vom späten 18. Jh. bis heute systematisch mittels einer quantitativen Argumentationsanalyse untersucht. Dabei gelingt es dem Verfasser, am Beispiel des Erbrechts die umfassende und sehr allgemeine soziologische These von der Individualisierung sämtlicher Lebensbereiche als zentralem Kennzeichen der Moderne grundsätzlich infragezustellen."
Monika Wienfort in: Humanities. Sozial- und Kulturgeschichte [H-Soz-u-Kult, 12. April 2005
"Beckert gelingt es, mit seiner materialreichen Studie die Entscheidungsprozesse zum jeweiligen Erbrechtsmodell transparent zu machen."
Aus: "Wem gehört das alles?", Frankfurter Rundschau, 8.12.2004
"Eine Pflichtlektüre für jeden Politiker, der mit Erbrecht befasst ist."
Aus: "Die Erfüllung der Pflicht gegenüber dem Staat nach dem Tod", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.9.2004